Unser Schulsystem

Unser Schulsystem

Unser Schulsytem

„Bildung ist, was übrigbleibt, wenn man alles, was man in der Schule lernte, vergessen hat.“

 –Albert Einstein

Millionen von jungen Menschen werden jährlich durch das deutsche Schulsystem ausgebildet. Schule ermöglicht Bildung, hält Kinder von der Straße fern, eröffnet Möglichkeiten und erleichtert den Einstieg in die Berufswelt. Auch für Kinder und Jugendliche mit sozial schwacher Herkunft, sorgt Schule für mehr Zukunftschancen.

Doch unser Schulsystem erfährt in den letzten Jahren zunehmend Kritik. Immer mehr Stimmen machen sich laut für eine große Reform. Denn seit über 100 Jahren hat sich an der Art und Weise wie Kinder und Jugendliche unterrichtet werden, kaum etwas verändert. Dabei hat sich die Welt um uns herum im letzten Jahrhundert stark weiterentwickelt. Wie passt das zusammen?

Wir möchten in dem Blogbeitrag das deutsche Schulsystem kritisch beleuchten und aufzeigen, welche Veränderungen für eine zeitgemäße Bildung und eine positive Schulzeit sinnvoll wären, um die Kinder auf das Leben vorzubereiten und sie zu mündigen und selbstbewussten Menschen zu machen.

Persönliche Erfahrungen

Wenn ich darüber nachdenke, was ich an meine Schulzeit gemocht habe, fallen mir vor allem meine Schulfreunde ein. Ich fand es wahnsinnig toll, täglich meine Freunde um mich zu haben und mit ihnen gemeinsam die Höhen und Tiefen der Schullaufbahn zu bestreiten. Rückblickend war der soziale Austausch meine größte Motivation, um mich morgens auf den Weg in die Schule zu machen.

Wenn ich mich jedoch zurückversetze, wie ich den Unterricht, das Lernen und die Prüfungen erlebt habe und welches Wissen nachhaltig hängengeblieben ist, sind bei mir eher negative Gefühle präsent. Mich persönlich hat der Noten- und Prüfungsdruck in der Schule nachhaltig geprägt. Selbst heute als erwachsene Frau träume ich noch regelmäßig davon, eine schlechte Note zurück zu bekommen oder nochmal mein Abitur schreiben zu müssen. Als ich darüber vor einiger Zeit auf Instagram gesprochen habe, bekam ich etliche Rückmeldungen von Follower*innen, die ähnliche negative Erlebnisse oder Träume haben.

Im Folgenden möchten wir einmal die größten Kritikpunkte am deutschen Schulsystem aufgreifen und dabei auch unsere persönliche Meinung einfließen lassen.

Kritikpunkte

  1. Das Schulsystem:

Kinder und Jugendliche verbringen in der Regel 9-13 Jahre in der Schule und das von früh morgens bis meistens spät nachmittags. Das bedeutet, dass die Schulzeit einen Großteil ihres Alltags, ihres Lebens bestimmt und entsprechend ihre Kindheit und Jugend prägt. Umso wichtiger ist es, sich einmal genauer anzusehen, wie Schule heutzutage aussieht und funktioniert.

Viele Kinder sind täglich mit Hausaufgabenstress, Leistungsdruck und Zeugnispanik konfrontiert. Denn leider leben wir auch oder vor allem heute noch in einer Leistungsgesellschaft, die bei Eltern und Kindern die Angst auslöst, nicht mithalten zu können, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden und keine Zukunft zu haben. Wir lernen, dass wir es im Leben nur zu etwas bringen werden, wenn wir einen guten Schulabschluss machen. Verständlich, dass hier der Druck nach guten Schulnoten wächst, wenn die Zukunft vermeintlich auf dem Spiel steht. Dabei hängt eine erfolgreiche Schullaufbahn vor allem davon ab, in welcher Umgebung das Kind aufwächst. Der soziale Status und die Hilfe der Familie, die Qualität der nächstgelegenen Schule und die Kompetenzen der dortigen Lehrkräfte - alles Faktoren, auf die ein Kind keinen Einfluss hat.

Verschiedene Studien zeigen, dass nicht nur ein Großteil der deutschen Bevölkerung, sondern auch die Mehrheit der Schulleiter*innen sich eine Reform des Schulsystems, der Schulfächer und der Lehrpläne wünschen. Denn das heutige Schulsystem hat seine Anfänge im Zeitalter der Industrialisierung. Damals hat der Großteil der jungen Menschen nach dem Schulabschluss in Fabriken gearbeitet. Hier lag der Fokus darauf, Ordentlichkeit, Pünktlichkeit, Fleiß und Gehorsam zu erlernen, mit dem Ziel Pflichterfüller zu erziehen, die wenig hinterfragen, Leistung abliefern und funktionieren.

Wie kann das System also in einer Welt, in der ganz andere Berufe, Werte und Kompetenzen relevant sind, überhaupt noch standhalten? Wie wichtig eine Überarbeitung des Schulsystems ist, wird auch in den folgenden Abschnitten deutlich.

  1. Der Unterricht

Der veraltete Lehrplan sorgt für Weltfremdheit in der Schule. Kinder und Jugendliche hinterfragen ab einem gewissen Alter, wofür sie die Schule und das dort erlernte Wissen benötigen und wofür sich das Lernen lohnt. Wenn wir an unsere eigene Schulzeit zurückdenken, wissen wir, wie wenig von dem Erlernten wirklich hängengeblieben ist und eine Rolle in unserem täglichen Leben spielt.

Schaut man sich ein Foto von einer Unterrichtssituation im frühen 20.Jahrhundert an, wird dieses erschreckende Ähnlichkeiten mit der heutigen Unterrichtsform haben, obwohl sich unsere Welt, die Art wie wir kommunizieren, wie wir leben und arbeiten komplett geändert hat. Denn auch wenn einige Lehrkräfte sehr bemüht sind, den Unterricht abwechslungsreich zu gestalten, ist auch heute noch der Frontalunterricht in den meisten Schulen sehr präsent. Die Schwierigkeit dabei ist, dass diese Art von Unterricht extrinsisch motiviert ist und den Schüler*innen keine Möglichkeit gibt, gemeinschaftlich und selbstbestimmt zu lernen. Weder individuelle Interessen, Fähigkeiten, Lerntypen oder Lerngeschwindigkeiten können in dieser Unterrichtsform wirklich berücksichtigt werden. 

Verschiedene Studien zeigen, dass jährlich 10.000 Schüler*innen auf eine niedrigere Schulform gestuft und damit demotiviert werden. Doch warum schneiden manche Kinder in dem bestehenden Schulsystem schlechter ab? Hier gibt es zwei Hauptgründe:

  1. Der Lernstoff als Ursache: Was gelernt werden soll, wird vom Lehrplan vorgeben. Doch ob das Kind für den Lernstoff Interesse entwickelt oder nicht, ist individuell. Vermutlich würden Kinder die hier als „schwach“ gelten, bei Themen, die sie wirklich interessieren und in denen sie einen Sinn sehen, mehr Ehrgeiz und somit Leistung zeigen können. Ein weiterer Faktor sind die verschiedenen Fächer. Wie können wir erwarten, dass unsere Kinder in 10 bis 12 verschiedenen Fachgebieten Interesse aufzeigen und noch gut darin sind? Das wäre wie, wenn man einem Löwen, einer Gazelle, einem Krokodil und einem Leoparden sagen würde, dass sie alle auf einen Baum klettern sollen. Der Beste gewinnt. Das hier die meisten Tiere schlecht abschneiden, liegt auf der Hand. Wie können wir also all unsere Kinder in eine Schublade stecken und von ihnen exakt dieselben Fähigkeiten verlangen? Dabei wünschen wir uns doch Individualität?
  2. Der Zeitpunkt als Ursache: Ich habe mir über einige Tage eine Freilerner Schule angesehen und mich gefragt, wie dieses Konzept funktionieren soll. Alle Kindern lernen genau das, wofür sie sich in dem Moment begeistern. Klingt erstmal traumhaft - aber funktioniert es auch? Ja, entgegnete mir ihr Lehrer. Denn jedes Kind (außer die mit geistiger Beeinträchtigung) entwickelt früher oder später das Interesse an Buchstaben, an Zahlen, an der Natur, an unserer Ernährung, an den Tieren u.v.m. Der Schlüssel liegt ganz einfach darin, dass der Zeitpunkt bei jedem Kind ein anderer ist. Manche Kinder wollen mit 6 Jahren lesen lernen, während andere Kinder mit 8 Jahren ein Gespür für Buchstaben und Worte entwickeln. Niemand kommt wissbegieriger auf die Welt als unsere Kinder - unsere Aufgabe ist, genau darauf zu vertrauen.
  3. Die Notengebung: Das bringt uns zum nächsten Thema: Die Notengebung. Wir wollen im Folgenden darüber sprechen, wie sinnvoll es ist, Kinder auf eine Zahl zu reduzieren. Viele Jahrzehnte wird schon darüber diskutiert, dass Noten subjektiv, ungerecht und wenig vergleichbar sind. Dennoch sind sie immer noch fester Bestandteil des deutschen Schulsystems. Dabei zeigen Statistiken von Kinder- und Jugendtelefonen, dass Zeugnisse und Noten die größten Angstauslöser für Kinder und Jugendliche sind. Bei Noten steht nicht das jeweilige Kind mit seiner individuellen Entwicklung und Fähigkeiten im Vordergrund, sondern ausschließlich seine Leistung. Und nicht mal dabei sind Noten aussagekräftig. Denn eine Note sagt nicht aus, was das Kind kann. Vielleicht kann das Kind tolle und fantasievolle Texte schreiben, hat aber Schwierigkeiten in der Rechtschreibung, was jedoch in der Note unsichtbar wird. Sie bildet lediglich einen Mittelwert ab. Die Reduzierung der schulischen Leistung auf eine Zahl, sorgt außerdem dafür, dass Schüler*innen sich eher miteinander vergleichen können, was natürlich für die Leistungsstarken motivierend und für die Leistungsschwachen demotivierend ist. Bei der Notenvergabe haben Lehrkräfte darüber hinaus viel Spielraum. Noten sind laut Studien abhängig von der aktuellen Stimmungslage und der Intention der Lehrkraft, von der Reihenfolge der korrigierten Arbeiten sowie deren Qualität und auch die Sympathie, die soziale Herkunft und das Geschlecht der Schüler*innen spielen eine Rolle. Sie sind somit alles andere als objektiv. Das bedeutet auch, dass ein Kind bei einer anderen Lehrkraft, in einer anderen Klassenzusammensetzung oder an einer anderen Schule für dieselbe Arbeit oder Leistung durchaus eine andere Note bekommen kann. Laut Studien gibt es hier sogar Schwankungen von bis zu 4 Noten! Ein gutes Abschlusszeugnis erleichtert in unserer Leistungsgesellschaft den Zugang zu Ausbildungen und Universitäten. Dabei achten Unternehmen vor allem auch auf die Kopfnoten, da sie Aufschluss über das Verhalten und den Fleiß der Schüler*innen geben sollen. Jedoch unterliegen diese Noten noch stärker der subjektiven Bewertung der Lehrkräfte. Spannend ist dabei, dass laut Studien die Kopfnoten absolut nichts über den Erfolg im Studium oder der Ausbildung aussagen. Bei allen anderen Noten ist der Zusammenhang ebenfalls sehr gering. Noch stärker nimmt der Zusammenhang zwischen der Abschlussnote in der Ausbildung bzw. der Universität und dem späteren Berufserfolg ab. Dennoch lernen Kinder und Jugendliche durch Noten, dass es nicht gut ist Fehler zu machen, wir uns anpassen und funktionieren müssen und der Fokus auf unseren Schwächen und nicht Stärken liegt. Wie soll sie das gut auf das Leben vorbereiten? Im Folgenden wollen wir uns einmal anschauen, welche Alternativen es zu unserem staatlichen Schulsystem gibt.

Vergleich

  1. Alternative deutsche Schulen

Wenn wir uns das Schulangebot in Deutschland näher anschauen, stoßen wir auf auch auf alternative Schulformen. Hierzu zählen beispielsweise die Waldorf-und die Montessori-Schule. Was macht diese Schulen so alternativ?

In einem Großteil dieser Schulen werden auf Noten entweder ganz verzichtet oder erst später eingeführt. Der Leistungs- und Entwicklungsstand wird stattdessen anhand von Präsentationen, Projekten und Entwicklungsgesprächen festgehalten und durch schriftliche Einschätzungen vermittelt. Diese Herangehensweise macht besser sichtbar, was das Kind wirklich kann und wo es noch Nachholbedarf hat. So wird darin beispielsweise deutlich, dass das Kind schon gut multiplizieren kann, aber das Dividieren noch Üben darf.

Studien stellen fest, dass der Verzicht auf Noten, zu mehr Wohlbefinden bei den Schüler*innen führt und anders als erwartet, deren Leistungsfähigkeit nicht verschlechtert. Somit ist auch die Annahme, dass Kinder nur lernen, wenn sie unter Druck stehen, überholt. Im internationalen Vergleich, schneiden Schulen mit früherer Benotung nicht besser ab.

Große Klassen erhöhen die Überförderung auf Seiten der Lehrkräfte und Schüler*innen. In vielen alternativen Schulen lernen die Kinder in ruhigerer Umgebung. Durch kleinere Klassen können sich die Lehrkräfte besser um jeden Einzelnen kümmern und deren Leistungsstand besser beurteilen. Im Fokus stehen außerdem die individuellen Talente, die Kreativität und die Teamfähigkeit der Kinder. Während der Frontalunterricht in den Hintergrund gerät, wird hier selbstbestimmtes Lernen, Gruppen- und Freiarbeit sowie eine erlebnisorientierte, fachübergreifende Gestaltung des Unterrichts fokussiert. In der Montessori-Schule lautet der Leitspruch: „Hilf mir es selbst zu tun“. Dadurch nimmt die Lehrkraft eher die Rolle des Begleitenden an. Außerdem gibt es dort altersübergreifende Klassen. Die Idee dahinter ist, dass die Schüler*innen sich gegenseitig unterstützen und alle voneinander lernen, da auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen altersgemischte Strukturen herrschen. So lernen die Kinder Hilfe zu leisten und zu empfangen, was die Rivalität verringern und Toleranz fördern soll. Sitzenbleiben aufgrund von schlechter Leistung ist nicht möglich, wodurch die Kinder ihrer gewohnten und stabilen Klassengemeinschaft bleiben und keine Abwertung erfahren.

Allerdings kommen Kinder nur in den Genuss einer alternativen Schule, wenn sich Eltern das Schulgeld finanziell leisten können. Alle anderen müssen oder dürfen sich dem Regelschulsystem stellen. Dies macht nochmal deutlich, wie wichtig es für die Mehrheit der Kinder und Jugendliche ist, dass sich auch das allgemeine deutsche Schulsystem verändert. Orientieren könnten wir uns dabei beispielsweise an Neuseeland.

  1. Schule in Neuseeland

Das Schulsystem in Neuseeland zählt zu den besten der Welt. Die Psychologin Verena Friedericke Hasel berichtet in ihrem Sachbuch „Der tanzende Direktor“ von ihren persönlichen Erfahrungen mit einer neuseeländischen Schule. Wir persönlich finden das Konzept sehr inspirierend und möchten zeigen, wie Schule noch funktionieren kann.

Das Motto des Schulsystems lautet „learning by doing“. Das heißt, hier steht gruppenbezogenes und selbstständiges Lernen, Neugier und das Erkennen von eigenen Talenten im Fokus. Das Schlüsselwort des Bildungssystems lautet Whanaungatanga. Es ist ein Wort der Maori und heißt: ein Gemeinschaftsgefühl, das so stark ist, dass es jeden trägt.

Inhaltlich wird auf die Hinwendung zur Natur genauso viel Wert wie auf das Erlernen von technischen Fertigkeiten gelegt. Dabei wird nicht zwischen akademischen und nicht-akademischen Fächern unterschieden, was bedeutet, dass die praktisch begabten Kinder keinen schlechteren Stand haben wie die theoretisch begabten Kinder. Teil der Schulphilosophie ist außerdem ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Schüler*innen und Lehrkräfte.

Hier ein paar Beispiele, wie der Schulalltag dort aussieht, damit ihr euch ein Bild davon machen könnt: Schüler*innen meditieren gemeinsam am Strand, haben turnen mit den Bewohnern aus dem Altersheim und lernen multiplizieren mit Steinen in der Natur. Abiturient*innen verbringen 48 Stunden im Wald, damit sie lernen, mit Einsamkeit umzugehen. Die Sechstklässler*innen treffen sich für den Sonnenaufgang am Strand und schreiben anschließend ein Gedicht über ihr Erlebnis. Die Erstklässler*innen zeichnen den Mond ab, da gerade das Weltall thematisiert wird. Achtklässler*innen gehen Mountainbike fahren und setzen sich im Anschluss mit den physikalischen Gesetzen auseinander. Eltern bekommen Ausschnitte aus dem Unterricht per App mit. In der Schule hängen Bilder von Menschen wie John Lennon oder Bill Gates, die trotz Legasthenie Erfolg im Leben hatten. Radiergummis sind verboten, um den Kindern zu vermitteln, dass man sich für Fehler nicht schämen muss, sondern daraus lernen kann.

Wir sehen also, wie Schule fernab von Leistungsdruck, stupidem Auswendiglernen und lebensfremden Inhalten noch aussehen kann. Wie toll wäre es, wenn sich das deutsche Schulsystem hiervon inspirieren lässt?

  1. Freilernen

Auf Reisen haben wir viele Familien kennengelernt, die mit ihren Kindern Vollzeit um die Welt reisen. Hier haben wir das erste Mal von dem Konzept des „freien Lernens“ gehört. Dabei geht es darum, sich ohne Anbindung an eine Schule selbstbestimmt und selbstorganisiert zu bilden.

Hier liegt der Fokus darauf, dass Kinder und Jugendliche in ihrem eigenen Tempo und nach ihren eigenen Interessen lernen dürfen. Weg von vorgeschriebenen Lehrplänen, die in einem Schuljahr abgehandelt werden müssen - hin zu einem Grundvertrauen, dass die Kinder und Jugendlichen durch diese Herangehensweise sich im Laufe der Zeit das nötige Wissen aneignen werden. Und nicht nur das, Vertreter des Freilernens, gehen auch davon aus, dass das lebensnahe und erlebnisorientierte Lernen deutlich nachhaltiger ist.

Auch wenn das Konzept in Deutschland bisher offiziell nicht anerkannt ist und die Schulpflicht es sogar gesetzeswidrig macht, zeigen Forschungsergebnisse, dass sich Menschen auch ohne einen Schulbesuch umfassend und tiefgehend bilden können. Wenn ihr das Konzept des Freilernens grundsätzlich spannend findet, aber in Deutschland wohnt, wäre es vielleicht interessant für euch, das Konzept der „Freinet-Schule“ kennenzulernen. Hier spielt die Individualität des Einzelnen ebenfalls die Hauptrolle. Es ist eine alternative Schulform (größtenteils Grundschulform), bei der die Kinder selbstbestimmt entscheiden, was sie wann lernen möchten. Der Unterricht findet also nicht lehrergesteuert, sondern schülergesteuert statt. Die Freinet-Pädagogik setzt außerdem ähnlich wie beim Freilernen den Fokus auf lebensnahem Lernen, indem die Kinder ihre Umwelt frei entdecken und sich mit ihr kritisch auseinandersetzen.

Anhand der dargestellten Vergleiche von alternativen und neugedachten Schulformen, wird noch einmal mehr deutlich, wie starr und veraltet die meisten unserer Schulsysteme sind. Im letzten Abschnitt wollen wir uns noch einmal anschauen, in welchen Bereichen Veränderungen im deutschen Schulsystem möglich wären.

Ideen/Ausblick

Die Schulen von heute entscheiden letztlich, wie unsere Welt von morgen aussehen wird. Welche Fähigkeiten und Werte sollen im Fokus stehen? Welche Zukunft wünschen wir unseren Kindern? Was wollen wir ihnen mit auf den Weg geben?

In unserer heutigen Welt brauchen wir unserer Meinung nach selbstbestimmte, sozial intelligente junge Menschen, die bestehende Strukturen hinterfragen und ihren eigenen, erfüllenden Weg finden. In der Literatur findet sich hierzu bereits ein Begriff: die 21.Century Skills. Gemeint sind damit die zeitgemäßen Fähigkeiten, kritisch zu denken, gewaltfrei zu kommunizieren, Konflikte zu lösen und kreativ zu sein. Denn im Zeitalter der Digitalisierung und Automatisierung werden immer mehr ehemals wichtige Berufe überflüssig, was Raum für Selbstverwirklichung und Innovation macht. Als wichtige Lebenskompetenz der 21.Century Skills werden folgende Fähigkeiten genannt: achtsam und empathisch sein, eigene Ideen und Projekte entwickeln können, Medienkompetenz und eine Inspiration für andere sein.

Doch kann unser Schulsystem diese Fähigkeiten wirklich fördern? Wie kann die Schule dazu beitragen, unsere Kinder und Jugendlichen für die Herausforderungen des 21.Jarhhunderts stark zu machen? Wir haben hierfür folgende Ideen:

  • Wir sind der Meinung, dass es vor allem wichtig ist, den Lehrplan zu überarbeiten und Unterricht lebensnah zu gestalten. Folgende Schulfächer fänden wir wichtig und zeitgemäß: Finanzen, Nachhaltigkeit, Empathie, Wertschätzender Meinungsaustausch, Mentale Gesundheit und Resilienz, Medienkompetenz, Berufsplanung, Notfallvorbereitung, Zivilcourage, Gesunde Ernährung, Erziehungswissenschaften, Selbstreflexion, Bewegung & Natur.  
  • Darüber hinaus sollte mehr Zeit eingeräumt werden, um individuell auf die Stärken und Schwächen einzelner Schüler*innen eingehen zu können. Das ist nur möglich, wenn aus den Fächern Lernstoff entfällt und der Lehrplan entschlackt wird. Das nimmt Druck auf Seiten der Lehrkräfte und bietet neue Möglichkeiten und Freiräume.
  • Statt Frontalunterricht und Auswendiglernen, sollte fachübergreifendes, selbstbestimmtes Lernen in Gruppen zur neuen Norm werden. So können die Kinder und Jugendlichen in ihrer Selbstständigkeit, Selbstwirksamkeit und Sozialkompetenz gefördert werden.
  • Die Beurteilung der Schüler*innen sollte verbal und schriftlich, individuell stattfinden, sodass sie und ihre Eltern ausführliche Informationen zum Lern- und Entwicklungsstand erhalten. Kinder und Jugendliche sollten nicht länger auf subjektive und unfaire Zahlen reduziert werden, die den Leistungsdruck zusätzlich erhöhen und wenig zu einem Lernfortschritt beitragen.
  • Grundsätzlich sollte der Fokus nicht mehr darauf liegen, von den Schüler*innen zu erwarten, Leistung abzuliefern, zu gehorchen und zu funktionieren. Denn nur dann können wir selbstbewusste, kreative, eigenständige und mündige Menschen heranwachsen sehen. 

Damit all diese Ideen umsetzbar sind, muss jedoch auch in der Gesellschaft ein Umdenken stattfinden. Hier können wir als Eltern, als Kollektiv dazu beitragen. Wir können unseren Kindern auch zu Hause vorleben, dass weder Leistung noch Gehorsam die wichtigsten Lebenskompetenzen sind. Wir alle können uns fragen, welche Art von Eltern wir sein wollen. Welche Werte wollen wir unseren Kindern mit auf den Weg geben? Die meisten Eltern wollen stets „das Beste für ihr Kind“. Doch was ist das? Viele versuchen die eigenen Kinder auf ein ähnliches Lebensmodell vorzubereiten, das sie selbst leben und gelebt haben. Doch gibt es heutzutage wirklich nur den einen Weg? Gute Schulleistung – gute Ausbildung – einen sicheren und gut bezahlten Job? Wir haben gelernt, dass unsere Leistung und unser Erfolg darüber entscheidet, ob wir glücklich sind. Geht es aber nicht eher um die richtige Einstellung zum Leben? Geht es nicht darum, dass unsere Kinder mithilfe ihrer Stärken und erlernten Fähigkeiten, ihren eigenen selbstbestimmte Weg gehen?  Das 21. Jahrhundert bietet unseren Kindern so viel mehr Möglichkeiten, als den jungen Menschen vor 100 Jahren. Bleibt zu hoffen, dass bald auch die Entscheidungsträger über das Schulsystem die Wichtigkeit eines Wandels erkennen und auf den Weg bringen.

 „Was ist das Wichtigste, das man in der Schule lernen kann? Fehler. Denn dann wächst das Gehirn“ – Verena Friederike Hasel

 

QUELLEN: 

Karl Hosang (2023: Deutsches Schulsystem: 4 Kritikpunkte. (Abgerufen von karlhosang.de)

Karl Hosang (2023): 21.st Century Skills.Kompetenzen für das 21.Jahrhundert. (Abgerufen von karlhosang.de)

Philipp Cavert (2022)Kritik an Schule. Ist unser Bildungssystem noch zeitgemäß? (Abgerufen von NDR.de)

Nicole o.A. (2018): Ändern wir das Schulsystem – alles andere kann bleiben. (Abgerufen von Heldenmacherin.de)

Nicole Kikillus (2018): Warum es nicht so schlimm ist, schlecht in der Schule zu sein. Das Kinder-Gesundheitsprojekt. (Abgerufen von: gluecksknirpse.de)

Mario Förster (2023): Alternative Schulen in Deutschland (Abgerufen von: netpapa.de)

Esther Ostmeier/Isabell M. Welpe (2021): Schule von  Grund auf neu denken – Was wir von innovativen Schulen im Aus- und Inland lernen sollten- Magazin Plan BD. (Abgerufen von forumbd.de)

Jana Hausschild (2014): Sind Schulnoten noch zeitgemäß? Spektrum der Wissenschaft. (Abgerufen von spektrum.de)

Anja Ettel (2021): Kopfnoten im Zeugnis? Diese Aussagekraft haben sie wirklich. (Abgerufen von welt.de)

So wenig aussagekräftig sind Schulnoten. WDR. (Abgerufen von quarks.de)

Christopher Roch (2015). Über die Unmöglichkeit, objektiv zu urteilen. Zur Klärung eines Paradoxons. (Abgerufen von:aba-fachverband.info)

Verena Friedericke Hasel (2019) : Der tanzende Direktor, Kein & Aber Verlag

Homepage der Freilerner Solidargemeinschaft e.V.

Homepage von Montessori Deutschland


9 Kommentare

  • Franziska

    Liebe Julie,
    ich bin mir sicher, dass du dich noch an mich erinnerst.
    Dein Beitrag ist bemerkenswert.
    Ich arbeite nun seit 8 Jahren an einer Förderschule für Kinder mit verschiedensten Beeinträchtigungen.
    Ich liebe meinen Job sehr, denn ich versuche zu jeder Zeit, für jedes Kind und egal in welchem Fach das Richtige zu finden.
    Nichtsdestotrotz ist es selbst an einer Förderschule wichtig für verschiedenste Menschen, sei es Kollegen, der Schulleitung, der Eltern oder der Regierung LEISTUNG vorzuweisen.
    Für mich persönlich ist lebenspraktisches Wissen, Individualität und Wohlbefinden der Kinder Priorität.
    Deshalb schreibe ich dir auf diesem Weg, weil es unfassbar wichtig ist, auch mal über den Tellerrand zu schauen!
    Liebe Grüße

  • Julia

    Das Beispiel, dass sich nicht jedermann eine Waldorfschule leisten kann aufgrund des monatlichen Schulbeitrages, ist nicht richtig. Es soll jedem Kind und jeder Familie ermöglicht werden auf die Waldorfschule gehen zu können. Es gibt einen Regelbeitrag, welchen man zahlen sollte. Kann man diesen aber nicht bezahlen oder beispielsweise nicht komplett, wird durch ein Beitragsgremium entschieden was es für Möglichkeiten gibt.
    Ich selbst war auf der Waldorfschule und wir hatten Familien in der Klasse die weniger Geld hatten. Klassenfahrten und monatliches Schulgeld wurde verhandelt und so hat die Klassengemeinschaft beispielsweise die Klassenfahrten für das Kind mitfinanziert.
    Sonst finde ich euren Beitrag toll.
    Lg

  • Julia

    Interessanter Beitrag, leider nur fernab des größten Problems in Deutschland: es wird einfach kaum was in die Bildung investiert. Im Gegensatz zB zu Neuseeland, wo 6,5% des BIP verwendet werden, sind es in Deutschland 4,5%.
    Zudem haben wir einen massiven Lehrermangel (der die nächsten Jahre schlimmer werden wird), wodurch einfach ganz andere Bedingungen als in Skandinavien/Neuseeland/… (also Ländern mit sehr gutem Bildungswesen) herrschen. Solange es daran hapert, kann man sich noch so tolle Konzepte überlegen… es ist weder das Geld, noch das Personal da, um sie umzusetzen.

  • Carmen

    Hallo. Vielen Dank für dein starken Artikel!
    Ich hoffe viel Minister: innen aus der KMK bekommen diesen zu lesen. Ich habe ihn weitergeleitet….
    Danke für deine Zeit !

    Alles gute 🍀 für euch

  • Kathrin

    Ihr sprecht mir aus der Seele und habt die Reichweite die dieses Thema benötigt. Ich hoffe es lesen die richtigen Menschen und es wird sich etwas ändern. Danke


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